05.07.2025

Die Qual der Wahl

Tanja Brink

Oktober 1888

 

Es war kühl, doch die Herbstsonne verwöhnte die letzten Rosen. Wenn seine Mutter ihn erwischte, gab es ein Donnerwetter. Franz klappte das Taschenmesser auf. Wenige Augenblicke später hielt er einen kleinen Strauß weißer Blüten in Händen, die betörend dufteten. Behände sprang er über die Gartenmauer und lief entlang des Strootbachs in Richtung Stadtmitte. Franz passierte das Hospital, als die Glocke der evangelisch-reformierten Kirche das Ende des Gottesdienstes verkündete. Schnell bog er um die Ecke, drückte sich in einen Hauseingang und sah zu, wie sich die Pforte des Gottes­hauses öffnete. Der Pastor bezog an der Tür Stellung, um seinen Schäf­chen einen gesegneten Sonntag zu wünschen. Ein Mann im edlen Sonntagsstaat trat ins Freie. Ohne es zu bemerken, straffte Franz die Schultern. Der Anblick von Carl Emil Hummells, dem Direk­tor der königlichen Eisenbahn-Hauptwerkstätte, ließ ihn unwill­kür­lich Haltung annehmen. Hummells‘ Frau Agnes erschien im Türbo­gen. Ihr folgten die Dienstboten des Hauses. Franz schlug das Herz bis zum Hals, als er Christa erblickte. Das hübsche Dienst­mäd­chen schloss zu ihrer Herrin auf und sprach sie an. Frau Hummells nickte, und Christa knickste, bevor sie in Richtung Markt­platz davonging. Franz nahm den Weg über den Universitätsplatz zur Burgstraße. Etwas außer Atem lehnte er an einer Hauswand, als das Dienstmäd­chen auf ihn zukam. Vor gut einem Jahr führte Franz ein Botengang ins Haus des Direktors. Christa putzte dort die Fenster, als er sie das erste Mal erblickte. Es dauerte Wochen, bis er den Mut fand, sie anzusprechen. Doch seit Ostern verbrachten sie die zwei Stunden Ausgang, die Christa jeden zweiten Sonntag zustanden, stets gemein­sam. Längst hätte er um ihre Hand gebeten, wären nicht die Umstände gegen sie. Er, der gebürtige Lingener aus einem erz­katho­lischen Hause. Sie, die zugezogene Protestantin, die im Haus­halt seines höchsten Vorgesetzten in Diensten stand. Sowohl seine Eltern als auch Direktor Hummells wären gegen ihre Verbindung. Hinzu kam, dass er als Schlosser­geselle nicht genug verdiente, um einen Hausstand zu gründen. Zwar hoffte er auf eine Stelle als Vorarbeiter, doch ob und wann er sie bekam, stand in den Sternen.

  „Schön, dich zu sehen!“ Christas Worte und ihr Lächeln rissen ihn aus seinen düsteren Gedanken. Schüchtern reichte er ihr die Blumen. „Die sind für dich.“ „Wie lieb von dir.“ Sie roch an den Blüten und strahlte. „Bleibt es bei unserem Spaziergang heute Nachmittag? Darf ich dich abholen?“ Ihre Augen nahmen einen besorgten Blick an. „Vielleicht ist es besser, wir treffen uns an der Ems.“ Franz nickte wissend. Seine Christa war schön und gescheit. Noch nie waren Religion oder Politik ein Thema zwischen ihnen gewesen, doch beide wussten, welche Schwierigkeiten sie bekamen, wenn jemand von ihrem Miteinander erfuhr.

Es war weit nach Mitternacht. Franz starrte seit Stunden an die Decke. Als er sich am Vortag von Christa verabschiedete, fasste er den Entschluss, seinem Vater noch am gleichen Abend von ihr und seinen Heiratsabsichten zu berichten. Sobald er eine Stelle als Vorarbeiter erhielt, würde er um ihre Hand bitten, egal was seine Familie sagte. Doch als Franz die Küche betrat, und gerade die Faust seines Vaters auf den Küchentisch krachte, verließ ihn der Mut. „Hast du das gelesen?“ Mit dem Finger stieß sein Vater immer wieder hart auf den Leitartikel des „Lingener Volksboten“. „Der van Acken schreibt hübsche Worte, aber das hier heißt nichts anderes, als dass der Hummells und seine Kumpane vom Reichsverein uns bei der Wahl am Dienstag bescheißen. Denen läuft die Galle über, weil es mit Windthorst ein rechtschaffender, katholischer Christ in den Reichstag geschafft hat. Bei der Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus wittern unsere Bismarckhörigen Protestanten Morgenluft und Bürgermeister von Beesten haben sie auch im Sack. So wie die von der Verwaltung die Wahlbezirke geschnitten haben, können wir froh sein, überhaupt einen unserer Wahlmänner durchzubekommen!“ Franz lehnte am Spülstein und ließ die Schimpftirade seines Vaters an sich vorbeiziehen. Zwar bemühten sich Preußen und der Vatikan seit einigen Jahren, den Kulturkampf beizulegen, doch sein Vater kämpfte weiter an seiner persönlichen Front. Kein Tag verging, an dem er nicht über die unsäglichen Preußen schimpfte, die wider­wärtigen Protestanten ins Fegefeuer wünschte oder drohte, die regie­rungs­freundlichen Katholiken zu verprügeln, sollten sie ihm des Nachts begegnen. Immer endete der Vortrag mit den gleichen Wor­ten: „Sie mögen uns unterdrücken, doch wir werden mit geradem Rücken den rechten Weg wählen. Gott ist auf unserer Seite!“ Franz vermutete, dass sich Gott ebenso wenig für Staatsführung inte­ressierte, wie er es tat. Aus seiner Sicht spielte die große Politik in Berlin oder Rom. Sein Leben war hier, und das wollte er mit Christa verbringen. Doch wie sollte er seinem Vater erklären, dass sein Herz einer preußischen Protestantin gehörte, die im Haushalt des Feindes in Diensten stand? Der Wecker beendete das Gedankenkarussell, das sich in Franz‘ Kopf seit Stunden drehte. Die Arbeit, die auf ihn wartete, würde ihn auf andere Gedanken bringen. 

„Moin, Franz. Ik mutt mal mit di snacken.“ Johann Bormes, Franz‘ Vorarbeiter, stand am Werkstor. Franz blieb vor dem grobschläch­tigen Mann stehen, dessen Anblick allein genügte, um den Arbeitern Respekt einzuflößen. „Guten Morgen, Herr Bormes“, antwortete Franz auf Hochdeutsch. Laut Anordnung des Direktors durfte im Werk kein Platt gesprochen werden. Viele der Arbeiter kamen aus der Fremde, und es brauchte klare Worte, die alle verstanden, damit die Arbeit voranging und kein Unglück geschah. Der Vorarbeiter legte Franz seine große Pranke auf die Schulter. „Meine Tage im Werk sind gezählt. Du bist fähig und fleißig. Ich hab‘ dich als meinen Nachfolger vorgeschlagen.“ Franz‘ Herz machte einen Sprung. Er wusste, dass der Alte ihn schätzte, doch dass er ein gutes Wort für ihn einlegte, hätte er nicht zu hoffen gewagt. Franz brachte nur ein schüchternes „Danke!“ heraus. Bormes lachte. „Dafür nicht. Wir Lingener Jungs halten doch zusammen!“

In der Mittagspause bestellte man Franz ins Personalbüro. Nervös trat er vom linken auf den rechten Fuß, während er mit einer Handvoll anderer Arbeiter im Bürotrakt darauf wartete, dass man ihn aufrief. Eine junge Frau kam aus einem der Räume. „Wenn die Herren jetzt bitte eintreten möchten. Meister Brockhaus erwartet Sie.“ Die anderen gingen in Richtung der Tür, aus der die Frau getreten war. „Brauchen Sie eine Extraeinladung?“ Die Stimme der Vorzim­mer­dame wechselte von freundlich zu energisch. Franz deutete irritiert mit einem Finger auf seine Brust. „Ich auch?“ „Ja, Sie auch!“ Franz folgte den Männern und schloss die Bürotür hinter sich. „Meine Herren, Direktor Hummells hat mich gebeten, in seinem Namen einen Wunsch an Sie zu richten.“ Der Meister erhob sich von seinem Bürostuhl. Brockhaus war einer der Männer, die Franz‘ Vater regelmäßig zur Hölle wünschte. Der Meister stammte aus Lingen und gehörte, wie Franz und seine Familie, zur Bonifatius Gemeinde. Doch sein katholischer Glaube schien deutlich besser mit der Lingener Obrigkeit und den preußischen Vorstellungen zu har­monieren als der anderer Gemeindemitglieder. Bei der letzten Fronleichnams­prozession hatte Franz‘ Vater den Brockhaus lautstark als Heuchler beschimpft und nachgeschoben, er verdanke seine Stellung lediglich dem Umstand, dass er dem preußischen Hund, dem Hummells, in den Allerwertesten krieche. Franz schluckte. Egal wie sehr Bormes für ihn warb, es brauchte ein Wunder, damit ausgerechnet dieser Mann ihm eine Beförderung zusagte. „Morgen findet die Urwahl zum Abgeordnetenhaus des preußischen Land­tages statt. Unter unseren Arbeitern gibt es viele Wahlbe­rechtigte. Es wird Sie nicht über­raschen, dass Herr Hummells eine gewisse Erwartungshaltung be­züg­lich des Abstimmungsverhaltens seiner Untergebenen hegt. Als Vorarbeiter sind Sie sich sicher ihrer diesbezüglichen Verant­wortung bewusst.“ Nach einem Augenblick des Schweigens erfüllte Gemur­mel den Raum. Dass die Verwaltung die Wahl durch den Zuschnitt der Wahlbezirke beeinflusste, war eine Sache, dass aber Hummells es wagte, seine Arbeiter unverhohlen unter Druck zu setzten, damit sie in seinem Sinne wählten, damit hatten weder die Vorarbeiter noch Franz gerechnet. Brockhaus erhob die Stimme. Das Gemurmel verstummte. „Ich denke, wir haben uns verstanden. Gehen Sie zu­rück an Ihre Arbeit!“ Franz wollte gerade das Büro verlassen, als Brockhaus ihn ansprach.

„Franz, du bleibst!“ Franz drehte sich um und sah den Meister an. Dieser grinste. „Der Bormes war bei mir. Er will, dass du sein Nach­folger wirst. Er meint, du seist fleißig, geschickt und kämst gut mit den anderen zurecht.“ Franz schöpfte Hoffnung. „Ich wäre einver­standen, doch …“ Brockhaus zögerte. „Da ist die Sache mit deinem Vater. Sein loses Mundwerk, die Beleidigungen und sein krudes Denken sind ein Greul.“ „Meister Brockhaus, ich ...“ Weiter kam Franz nicht. „Es ist an dir zu beweisen, dass du anders denkst und handelst. Du weißt, was der Hummells erwartet. Als Vorarbeiter bist du dem Werk und dem Direktor verpflichtet. Sprich mit den Männern in der Lokhalle. Überzeuge sie, morgen die richtige Wahl zu treffen.“ Wut und Hilflosigkeit brannten in Franz´ Brust. „Ich kann doch nicht ...“  Brockhaus schnitt ihm das Wort ab. „Deine Entscheidung!“ Der Meister griff nach seinem Füller und begann, etwas zu notieren. Das Gespräch war beendet. Mit hängendem Kopf verließ Franz das Büro.

Auf dem Weg in die Lokhalle überlegte er hin und her. Wie er es drehte und wendete, das Ergebnis blieb stets dasselbe. Wenn er tat, was Brockhaus von ihm verlangte, brachte es ihm die Stellung als Vorarbeiter ein. Gleichsam bedeutete es jedoch Verrat an seinen Werten, seinen Freunden und am eigenen Vater. Blieb er standhaft, würde ihm die Stellung verwehrt – ebenso wie ein gemeinsames Leben mit Christa. Egal, wie er sich entschied, er war zum Scheitern verurteilt.

Vor der Lokhalle standen einige Männer. Darunter Paul und Heinz, zwei seiner besten Freunde. Sie kannten sich seit Kindertagen, waren zusammen zur ersten Kommunion gegangen und hatten danach viele Jahre gemeinsam als Messdiener am Altar gestanden. „Wo kommst du denn her? Aus dem Personalbüro? “, feixte Paul. Franz schaute ihn erstaunt an. „Na, der Bormes hat da sowas angedeutet.“ Lautlos verfluchte Franz den Alten für sein Geschwätz. „Ich war beim Brock­haus, aber nicht wegen der Stelle als Vorarbeiter.“ „Warum denn dann?“, fragte Heinz. „Es ging um die Wahl morgen.“ Paul winkte ab. „Die haben uns die Preußen und ihre Handlanger aus der Verwaltung längst gestohlen. Was können wir armen Schlucker schon aus­rich­ten? Das Ganze ist doch ein abgekartetes Spiel.“ Die Umste­henden brummten zustimmend. Franz nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Und trotzdem wollt ihr wählen, wie Erzbischof Philippus es in seinem Erlass schreibt? Wählen wir nicht besser im Sinne der Hand, die uns füttert? Wir essen seit Jahren hier unser Brot. Sollten wir nicht so handeln, dass wir das auch die nächsten Jahre noch tun können?“ Die Männer um ihn herum starrten Franz ungläubig an. „Wir sollen Hummells nach dem Mund reden? Du willst, dass wir unsere Werte, unseren katholischen Glauben verraten?“ Paul spie die Worte wütend aus. Franz bemühte sich um einen versöhnlichen Tonfall, spürte aber, wie armselig er klang. „Wir können nicht gewinnen, und es geht nur um Politik, nicht um Gott. Wir alle brau­chen Brot auf dem Tisch und Holz im Ofen. Wir sollten tun, was für unser Leben richtig und wichtig ist.“ Franz sah Heinz‘ Faust nicht kommen. Sie traf ihn mitten im Gesicht und ließ ihn kurz schwanken. „Das war jetzt wichtig und richtig, du elender Verräter!“ Es war nicht der Schlag, der Franz schmerzte. Es waren die Worte des Freundes, die ihn trafen. Beschrieben sie doch genau, wie er sich fühlte. Wie ein Verräter.

Am Morgen des 30. Oktober 1888 erschien Franz pünktlich um sieben Uhr im Werk. Keiner der Männer, denen er begegnete, grüßte ihn. Dafür tuschelten sie hinter seinem Rücken. Um neun Uhr betrat Meister Brockhaus die Lokhalle. Er ging zu Franz, sah das Veilchen am rechten Auge, grinste und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Na, Franz, ist dir etwas in die Quere gekommen?“ Franz ballte die Faust, blieb aber stumm. Meister Brockhaus richtete sich an die Beleg­schaft. „Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass der Franz der Nachfolger vom Bormes wird. Ihr seht, es zahlt sich aus, wenn man die richtige Wahl trifft. Überlegt gut und geht jetzt wählen!“ Franz spürte die verächtlichen Blicke der Männer. Er drehte sich um, nahm seine Jacke vom Haken und verließ das Werk.

Der große Saal des Hotels Nave diente als Wahllokal. Franz stand neben seinem Vater und sah sich um. Neben dem Tisch des Wahlkomitees saßen die Wahlmänner, die es zu wählen galt. Die, die hier weiterkamen, wählten den Abgeordneten für die zweite Kam­mer des preußischen Landtages. Franz, sein Vater und alle einfachen Arbeiter würden ihre Stimme für die Wahlmänner der dritten Klasse abgeben. Brockhaus gehörte aufgrund seines Ver­dienstes zur zwei­ten Wählerklasse. Hummells und alle wohl­haben­den Bürger bildeten die erste Klasse. Die Wählerzahl der Klassen unterschied sich erheblich. Die Anzahl der Wahlmänner war hingegen bei jeder Klasse gleich. Selbst wenn die dritte Klasse einen kirchentreuen Katholiken wählte, würden die anderen Klassen regierungstreue Wahlmänner benennen. Das Geld würde die Wahl entscheiden. Der Leiter des Wahlkomitees rief den ersten Wähler der dritten Klasse auf. Dieser trat vor, nannte laut den Namen des Mannes, dem er seine Stimme gab und verließ den Saal. So ging es weiter. Direktor Hummells saß demonstrativ am Tisch neben dem Wahlkomitee und notierte das Abstim­mungsverhalten seiner Arbeiter. Franz sah, wie er Ent­hal­tungen mit einem Kreuz und Gegenstimmen mit einem roten Strich vermerkte. Die Vorstellung, öffentlich, im Beisein all dieser Männer und in Anwesenheit seines Vaters seine Stimme abzugeben, ließ Franz den Atem stocken. Als sein Name aufgerufen wurde, trat er nur zögerlich vor. „Wen wählst du?“, fragte der Wahlleiter. Franz blickte zu Hummells, dann zu seinem Vater. Ihm wurde schlecht. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Er sah Christa vor sich - sie lächelte. Dann nannte Franz einen Namen. Totenstille erfüllte den Saal. Hummells grinste selbstgefällig. Als Franz sich Richtung Tür wandte, stellte sich sein Vater ihm in den Weg. Wortlos blickte er seinen Sohn an. Dann spuckte er ihm voller Abscheu ins Gesicht. Franz presste die Lippen zusammen, wischte sich mit dem Ärmel den Rotz ab und ging hinaus.

Franz verdankte es dem liebenden Herz seiner Mutter, dass sein Vater ihn nur mied und nicht hinauswarf. Im Werk ging man ihm aus dem Weg, oder machte es ihm schwer. Sein Leben war ein Spießrutenlauf. Seit der Wahl hatte Franz die sonntägliche Messe nicht mehr besucht – eine in die Predigt eingebettete Anklage des Pfarrers wollte er sich ersparen.

Die Glocken läuteten. Als Christa die Kirche verließ, blickte sie sich suchend nach allen Seiten um. „Christa!“ Sie hörte ihn rufen und sah, wie er aus dem Schatten eines Hauses trat. „Du bleibst!“, zischte Direktor Hummells, der neben ihr stand und sie streng ansah. „Du lebst unter meinem Dach und befolgst meine Regeln. Mach mir keine Schande!“ Christa atmete tief ein, hielt einen Moment inne und ging dann über die Straße. Vor Franz blieb sie stehen. Sie hörte das Tuscheln hinter sich und spürte Hummells‘ wütenden Blick im Nacken. Eine Träne ran ihr über die Wange, doch unbeirrt nahm sie Franz in den Arm und küsste ihn zärtlich. Die Menge raunte. Als sie sich von ihm löste, legte sie ihren Zeigefinger auf seine Lippen. „Sag nichts! Triff mich heute Nach­mittag vor der Bonifatiuskirche!“

Völlig aufgewühlt wartete Franz bereits seit einer Stunde vor dem Kirchenportal, als Christa um die Ecke bog. „Christa, was geht hier vor?“ Franz blickte sie besorgt an. Das Hausmädchen griff nach sei­nen Händen und sah ihm liebevoll in die Augen. „Ich weiß, was geschehen ist! Der Brockhaus hat meinem Herrn berichtet, wie ge­schickt er dir und deinem Vater eins ausgewischt hat.“ Franz spürte die Wut in sich aufsteigen. „Franz, mein Herz, du hast alles für uns riskiert. Jetzt ist es an mir, mutig zu wählen.“ Ohne ein weiteres Wort führte sie ihn ins Kirchenschiff. Sie nickte dem Pfarrer zu, der lächelnd neben dem Taufbecken stand und sie erwartete. „Franz, mögen Religion, Politik, oder Menschen uns trennen wollen, ich will alles tun, um Teil deines Lebens zu sein.“ Christa straffte die Schultern und wandte sich an den Pfarrer. „Hochwürden, ich möchte Sie bitten, mich katholisch zu taufen! Ich will im Glauben meines zukünftigen Mannes leben und handeln.“ Der Pfarrer nickte freundlich. „So soll es sein, liebe Tochter!“ Auf ein Zeichen des Pfarrers kniete Christa nieder, während Franz Tränen der Rührung und Erleichterung über das Gesicht liefen. Er hatte richtig gewählt.

© Bildrechte liegen bei der Einsenderin / dem Einsender.
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Tanja Brink

Ich wurde 1975 in Lingen (Ems) geboren, arbeite als Diplom-Bank­betriebswirtin (BA) in Düssel­dorf und lebe mit meinem Partner im Bergischen Land. Seit 2016 bin ich als Autorin aktiv und veröffentlichte bereits Kurzge­schich­ten und Hör­spiele.

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