05.07.2025
Ein Tag im Standesamt Lingen
Andreas Stickamp
An einem Freitagmorgen im Juni komme ich frohgemut um kurz nach sieben zu meinem Arbeitsplatz im Standesamt. Die Wettervorhersage verheißt Gutes, das wird die Durchführung bei den vier anstehenden Eheschließungen erleichtern. Wenn das Wetter mitspielt, sind die Gäste von vornherein in gut gelaunter Grundstimmung - das überträgt sich auf die Verlobten und man sieht gegebenenfalls gelassener über kleinere Fehlplanungen oder Missverständnisse hinweg. Vor allem dann mag ich meinen Job – auch nach mittlerweile jahrzehntelanger Tätigkeit im Standesamt und nicht immer nur schönen Erlebnissen.
Die erste Eheschließung ist für 10.30 Uhr vorgesehen. Bleibt also Zeit, sich mit anderen Aufgaben zu beschäftigen. Trotz genauer Terminierungen für Geburtsbeurkundungen, Namenserklärungen, Beglaubigungen und Sterbefallsachen gerät dann die Zeitplanung doch etwas durcheinander. Eine ältere Dame muss mir unbedingt die Beweggründe für ihren Kirchenaustritt mittels ihrer Lebensgeschichte erläutern.
Um viertel nach zehn erinnert mich eine Kollegin „Du musst doch zu deinen Eheschließungen... !?“ und ich verabschiede mich entschuldigend von der älteren Dame, die mir gönnerhaft ankündigt: „Ich komm‘ dann mal wieder vorbei.“ Sie war gerade erst bei 1973, nun ja….
Ich mache mich rasch auf den Weg, sage mir aber, dass alles bereits am Vortag vorbereitet wurde und in der Ruhe die Kraft liegt. Alle Urkunden, Erklärungen, Bescheinigungen und Niederschriften ausgedruckt, gesiegelt und unterschrieben. Jawoll, ich bin ein erfahrener Urkundsbeamter – mich überrascht nichts mehr!
Gerade denke ich noch, dass mir bald ein weitgehend terminfreies Wochenende bei herrlichem Wetter und einem kühlen Feierabendbier bevorsteht …
… da bemerke ich ein blubberndes Motorgrollen aus der Großen Straße heraus.
Ein Paar kommt mir auf zwei beeindruckenden Bikes entgegen und begrüßt mich freundlich-lässig mit „Hi, deine ausgestellte Parkerlaubnis gilt doch bestimmt auch für unsere zwei Mopeds?“ Ich gehe zur Vermeidung unnötiger Diskussionen etwas darüber hinweg, indem ich bewundernd die Motorrad-Kutten der Brautleute in Augenschein nehme. Die Braut zuckt die Achseln und äußert: „Er wollte das hier nur in diesem Outfit…“. Besonders neckisch finde ich das Vergissmeinnicht-Sträußchen auf seiner Weste, welches den Totenkopf auf einem braunen Abzeichen mit den sonderbaren Zeichen etwas verdeckt. Ich denke mir selbstberuhigend, dass er wohl St.-Pauli-Fan ist…
Die überschaubare Gästeschar geht dann zum Warteraum ins untere Geschoss, und ich eile die Treppen hoch (man wird doch älter – puh!) zum Garderobenschrank, um dort das Sakko gegen den Talar zu tauschen. Dann wieder runter zum Paar. Trauzeugen sind nicht aufzunehmen. Auf meine Frage nach Trauringen gibt der Bräutigam mir nuschelnd zwei Gummidichtungen: „Kann ich danach in der Werkstatt wieder gebrauchen.“ Ihr leicht erzürnter Blick entlockt ihm die Zusicherung: „Zum Jahrestag schmiede ich uns zwei.“ Dann begeben sich alle in den Trauraum, finden ihre Plätze, und der Bräutigam lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Ich will mir einbilden, dass seine Augen nur halb geschlossen sind. Die Braut sitzt allerdings kerzengerade und macht den Eindruck, mir jetzt gerne zuhören zu wollen. Als jedoch neben dem Rathaus plötzlich ein lautes Harley- und Guzzi-Konzert ertönt, sackt sie mit einem „Ich hab’s geahnt“ etwas zurück. Er jedoch richtet sich mit leuchtenden Augen auf - die spitzen metallenen Absätze seiner Stiefel ziehen dabei leichte Riefen ins Parkett - und äußert mir gegenüber ein deutliches: „Mach hin!“ Wir kommen daher wirklich relativ zügig zum Schluss. Für ein Abschlussfoto scheucht mich ein Gast etwas zur Seite, weil die Fotografin anmerkt: „Der Pfarrer muss ja nicht mit drauf.“
Dem Paar dröhnt auf der Rathaustreppe, wie kann es anders sein, ein „Highway to Hel“ entgegen. Die Bikes sind in imposanter Reihe aufgestellt worden. Aufgrund des etwas überstürzten Aufbruchs habe ich meine Wasserflasche im Büro vergessen und sehe es auch als Wertschätzung an, dass mir der Bräutigam ein Getränk anbieten will…
… da schallt mir aber schon von der anderen Marktplatzseite laute orientalische Musik aus einem voluminösen Lautsprecher auf einem Auto entgegen. Einige Leute tanzen darum herum, ich kann kurz das Brautpaar begrüßen, und es gibt den ersten freundlichen Smalltalk.
Der Brautvater moniert jedoch bei der anwesenden Dolmetscherin, dass mein Talar zu katholisch aussehen würde. Das Rathaus gleiche zudem eher einer Kirche und im Turm habe er Glocken ausgemacht. Okay, das kann ich nicht ändern. Ich versichere aber, dass die Glocken nicht läuten werden. Und wegen meines Outfits eile ich wieder die Treppen hoch, tausche Talar gegen Sakko und darf sodann mit der Zeremonie beginnen. Durch das Dolmetschen zieht sich diese etwas, aber wir kommen zum Abschluss - Blütenblätter werden gestreut, schweres Parfüm liegt in der Luft. Der Brautvater ist nun sehr gut gelaunt, strahlt über das ganze Gesicht und kann sich gerade noch rechtzeitig bremsen – sonst hätte auch ich einen Kuss abbekommen. Er verzeiht mir anscheinend sogar, dass eine Kirche im Umfeld des Marktplatzes durch ihr Geläut zu einer Elf-Uhr-Andacht eingeladen hat.
Das Paar wird draußen mit lautem Jubel empfangen, und ich bin aufgrund der abklingenden Lautstärke absolut nicht traurig darüber, dass der Feierzug durch die Marienstraße langsam abzieht. Dann schnell wieder in den Trauraum, Fenster aufreißen, Blütenblätter etwas zur Seite fegen, Treppe hoch, Sakko aus-, Talar anziehen…
… da ruft mich ein lautes Bollern gegen die Tür im Untergeschoss zum nächsten Paar in den Warteraum.
Beim Öffnen der Tür muss ich leicht zurückweichen. Zum einen ist der Raum fast überfüllt, zum anderen drängt sich eine Dame mit einem Hund an der Leine an mir vorbei. Auf meinen erstaunten Blick hin werde ich etwas schnippisch aufgeklärt: In Ihrem Terminbestätigungsschreiben stand nichts von einem Hundeverbot und Brutus gehört einfach mit zur Familie. Für ausufernde Unterredungen fehlt mir wieder die Zeit, da ich schon das Brautpaar erkenne und zu mir bitte. Beide sind aufgeregt, aber durch eine erste kurze Begrüßung kehrt etwas Ruhe ein. Eine Dame richtet dann die Bitte oder eher schon eine Aufforderung an mich, einige Leute mehr als angekündigt in den Trausaal zu lassen. Ich verweise auf die begrenzte Anzahl an Sitzplätzen, doch sie meint: „Aber die Patenkinder Hella-Hailey und Chrissi-Lionel müssen unbedingt mit rein, die sind ja noch klein!“ Ein etwas ungewöhnliches Geräusch lässt uns beide in den Warteraum blicken, und wir sehen, dass ein Kind sein Gesicht mit einem Würgen in eine Sickness-Bag hält. „Sehen Sie, Chrissi-Lionel ist vor lauter Vorfreude schon ganz aufgeregt!“
Mir bleibt keine Zeit für eine Erwiderung, weil im oberen Geschoss jemand ausdauernd an der Tür ruckelt. Ich renne die Treppe hoch. Ein Gast der ersten Trauung steht vor mir mit „Hab‘ ich meinen Helm hier vergessen?“ Das muss ich kurz verneinen, aber meine Abwesenheit im Untergeschoss nutzten mehrere Leute, sich schon mal in den Trauraum zu begeben. Zügig nehme ich die Personalien der Trauzeugen im Untergeschoss auf. Währenddessen bearbeitet Hella-Hailey unter der Treppe mit ihren Händen und einem Schnuffeltuch lautstark die dort abgestellten Trommeln der Kivelinge. Ich schaffe es gerade noch, die umfallenden Hellebarden, die sich hinter den Kostümen in der Ecke verborgen haben, aufzufangen. Ich schließe die Zwischentür, finde das Schnuffeltuch auf dem Treppenabsatz und stecke es ein, da schon alle Gäste nach oben gegangen sind. In einer Ecke des Trauraums wurde ein E-Piano aufgebaut, daran komme ich nicht vorbei, und die angekündigte Sängerin kritisiert vorwurfsvoll: „Dass Sie hier nur eine Steckdose haben…“. Ich versuche über die andere Ecke zu meinem Platz zu kommen, aber da stellt sich mir Brutus knurrend entgegen. Sein Frauchen erklärt: „Der tut nix“, und ich verkneife mir ein: „Doch. Er sabbert.“
Endlich bei meinem Stuhl merke ich, dass die Braut schon Tränen in den Augen hat. Es ist aber weniger Rührung, weil sie „Im Blumenstrauß sind Pollen, auf die ich allergisch reagiere“ schluchzt. Wir können etwas Abhilfe schaffen, indem der Strauß zum Stammbuch gelegt wird.
Dann habe ich es ein wenig einfacher, da neben der Sängerin auch eine eigene Rednerin engagiert wurde. Bei der Anmeldung der Eheschließung hatten die Brautleute dies mitgeteilt, da die Ansprache schön persönlich werden soll, was ein Standesbeamter eben nicht gewährleisten könne. Das stimmt - ich hätte es nicht geschafft mit einem „Als Tommy dann mit dir Schluss gemacht hatte…“ so eine tiefe Gesichtsröte bei der Braut hervorzuzaubern. Nach dem Ja-Wort erklingt das Piano, die Sängerin sammelt sich und beginnt leise mit einem Stück von Revolverheld. Gerade bei dem gefühlvollen „Ich lass für dich das Licht an“ wummert vor dem Rathaus ohrenbetäubend „La Grange“ von ZZ Top los - Motorradgang im Feiermodus! Die Sängerin bricht ab mit einem „So geht das nicht!“, und die Braut hat wieder Tränen in den Augen. Ich wusele mich durch die Gästemenge im Raum vor die Tür und bitte eindringlich darum, die Lautstärke zu reduzieren. Man kommt dem sogar unverzüglich nach, die entgegengestreckten Mittelfinger übersehe ich. Die Sängerin lächelt mich dankbar an - sie kann zum Abschluss noch ein romantisches Stück intonieren. Das Brautpaar lässt sich glücklich auf der Rathaustreppe bejubeln, und ich darf die Tür hinter ihnen schließen. Da mein Zeitplan arg strapaziert wurde, spute ich mich….
…zum nächsten Paar in den Warteraum ins Untergeschoss zu kommen. Da ist jedoch niemand. Ich gehe vor die Tür auf den Marktplatz, und nach einem weiteren lauten Motorgrollen sehe ich, wie sich aus einem neuen Sportwagen nicht mehr ganz so junge Verlobte winden. Die Braut hat ein kleines Hündchen auf dem Arm, die anwesenden Gäste werden einzeln mit Bussi begrüßt. Gerade als ich das Paar ins Rathaus geleiten kann, wird an der oberen Tür laut geklopft. Ich sprinte nach oben und erkenne die Mutter von Hella-Hailey, die mich aufgeregt fragt: „Haben Sie ein Schnuffeltuch gefunden?“ Das kann ich freudig aus meiner Tasche im Talar hervorkramen, und es wird mit „Nicht sehr hygienisch - eigentlich müsste ich Ihnen die Reinigung in Rechnung stellen“ entgegengenommen. Sie gibt sich aber dann mit einer Entschuldigung von mir zufrieden, und ich kann mich - schnell die Treppe runter - wieder dem letzten Paar an diesem Tag widmen.
Zur Frage nach den Ringen zeigt die Braut auf den kleinen Pudel auf ihrem Arm und erklärt: „Die bekommen wir von Mimmy.“ Ich entdecke, dass der Hund am Halsband dementsprechend ausgestattet ist. „Wir hatten dafür Gottfried vorgesehen, aber der will das nicht.“ Die Frage nach Gottfried erübrigt sich, da in dem Moment ein riesiger Bernhardiner in den Raum geführt wird, der sich vor dem Stuhl des Bräutigams niederlässt.
Damit haben alle ihren Platz gefunden. Auf ein „Alles in Ordnung, Hasi?“ der Braut kommt vom Bräutigam ein „Ja, Mausibär“, und wir können beginnen. Beim Verlesen des Namens des Bräutigams vernehmen alle aus der hinteren Reihe ein deutliches: „Horst fand ich besser!“. Die Braut dreht sich mit einem „Ach, Papa!“ um, beugt sich dann zu mir und erklärt leise: „Horst war mein Dritter. Mein Vater hat sich sehr gut mit ihm verstanden.“ Ich erinnere mich - bei der Anmeldung hatten die Braut und ich festgestellt, dass sie bereits viermal verheiratet war und nicht dreimal, wie sie zunächst angegeben hatte. Diese Fehleinschätzung wurde von ihr mit „Ist ja auch egal, die vierte war eigentlich gar keine Ehe“ abgeschlossen.
Ich komme zum Ende meiner Ansprache, und die Brautleute stehen auf. Darin sieht Mimmy die Chance, vom Arm der Braut zu springen und schnell in die Ecke zu trippeln, die bei der vorherigen Trauung Brutus innehatte. Sie schnüffelt dort aufgeregt herum und will sich absolut nicht dazu bewegen lassen, wieder zur Braut zu kommen. Ich verdränge den Gedanken, dass Brutus dort vermutlich nicht nur gesabbert hat. Gottfried bin ich fast dankbar, da er die aufkommende Unruhe mit einem energischen „Wuff!“ beendet. Die Ringe können Mimmy schlussendlich abgenommen und die Fragen von mir an die Brautleute zu ihrem Willen gerichtet werden. Auf mein „… erkläre ich Sie nunmehr zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten“ erfolgt durch ein lautes „Amen!“ des Brautvaters die Bestätigung. Ich kann nichts dagegen machen – vor meinem geistigen Auge erscheinen Loriots „Früher war mehr Lametta!“ und Opa Hoppenstedt. Erfahrung ist wirklich hilfreich, die Gesichtszüge im Zaum zu halten. Als sich Mausibär zu ihrem Vater umdreht, flüstert mir Hasi bei seiner Unterschrift leise zu: „Das ist doch jetzt kein Ehevertrag?“ Das kann ich mit einem unauffälligen Kopfschütteln bestätigen. Ein junger Gast führt den Brautvater mit „Opa, jetzt erstmal ein Gläschen Schampus?“ zur Tür. Ich höre von ihm noch „Bei Horst gab es immer ein kühles Pils“, dann tritt das Brautpaar vor die Tür und mit einem lauten Knall zu Helene Fischers „Unser Tag“ fliegen tausende glitzernde Schnipsel in alle Richtungen - auch ins Rathaus. Der Flyer „Heiraten ohne Konfetti, Reis und Co.“ ist wohl nicht gelesen worden. Vielleicht wurden auch daraus die Schnipsel gemacht - Lingen wird bunt…
Etwas angestrengt gehe ich ins Historische Rathaus zurück und muss mich erstmal setzen. Mein Hemd unter dem Talar hat die Farbe von Hell- in Dunkelblau gewechselt. Ich entdecke ein vergessenes Papiertaschentuch mit der Aufschrift „Für Freudentränen“. Es eignet sich auch für Schweißperlen auf der Stirn. Leicht wehmütig denke ich an meine Anfangszeiten im Amt zurück. Der gemeine Emsländer kam zur standesamtlichen Eheschließung gerne im kleinen Kreis am Dienstag oder Mittwoch. „Richtig heiraten tun wir dann am Freitag in der Kirche“ hieß es dann oft. Ist das Standesamt jetzt richtiger geworden?
Jemand reißt mich abrupt aus meinen Gedanken – ich hatte nicht abgeschlossen. Es ist die Mutter von Chrissi-Lionel, die aufgeregt fragt, ob ein Verbandskasten greifbar sei. Ich finde einen in der Küche, und wir laufen schnell auf den Marktplatz. Ihr Sohn hat sich schon wieder etwas beruhigt. Das chromblitzende Auspuffrohr eines Motorrads hat ihn wohl fasziniert. Er meinte, es anfassen zu müssen, und es war nicht abgekühlt. Ein gut ausgestatteter Fahrradtourist konnte mit Pflaster und Brandsalbe bereits aushelfen, und Chrissi-Lionels Miene hellt sich auf, da ihm ein großes Eis versprochen wird. Eine weitere Sickness-Bag ist hoffentlich noch vorrätig ... Der Motorradfahrer tuckert seelenruhig langsam davon, sein Wehrmachtsstahlhelm schützt ihn vermutlich auch vor dem Gezeter der Mutter.
Ich schleiche zurück zum Rathaus und merke an einem „Dürfe mer a Blick neiwerfe?“, dass zwei süddeutsche Touristen wegen der offenen Tür ihre Zutrittschance genutzt haben. Ein höflicher Hinweis auf die offiziellen Stadtführungen des LWT fruchtet nicht. „Mir habe kaum Zeit, und wo mer grad hier herinna san - Sie könne uns fei sicher a bisserl zeigen? Herrgottsackra, is hier a dicke Luft.“ Ich gebe ein paar Informationen zum Historischen Rathaus und das Paar scheint zufrieden. Der Mann bewertet „Neuschwanstein is ös ja net, aber ganz schee“, seine Frau schaut mich an und äußert: „Maxl, der Mann schaut gschafft aus, und mir wolle no Horen zum Campingplatz. Er kann uns sicher den Weg erkläre.“
Das versuche ich, die beiden schwirren ab und ich kann die Tür schließen. Noch einmal die Treppe hoch, den Talar in den Garderobenschrank bringen. Das Sakko ziehe ich trotz der gestiegenen Temperaturen wieder an – mein Anblick ist sonst keinem zuzumuten.
Auf dem Rückweg zum mittlerweile sechzig Jahre alten Neuen Rathaus bekomme ich noch mit, dass unter den vielen fröhlichen Gästen auf dem Marktplatz einige Frauen mit Kopftuch zu Helene Fischers Musik mitschwingen, die allergiegeplagte Braut ihren Strauß jubelnden jungen Leuten entgegenwirft und Opa Hoppenstedt bei einer Flasche Bier mit den Motorradfreunden fachsimpelt.
So soll es sein!
Zurück in meinem Büro wird zunächst die Wasserflasche geleert. Dann zwinge ich mich, noch vor dem Feierabend alles elektronisch zu signieren. Lieber keine Zeit verlieren - mir wurden schon mal kurz nach einem Ja-Wort die Lohnsteuerkarten mit „Können Sie sofort die Klassen III und V eintragen?“ unter die Nase gehalten. Eine Ehe muss sich lohnen …
Wochenende! Auf meinem Hemd hat sich das Dunkelblaue in lustige Salzkristallkringel verwandelt.
Montagmorgen blinkt mir im Büro das Telefon rot entgegen und das Mailpostfach hat einige Nachrichten für mich:
Über den Beschwerdeservice lässt mir ein vor Ort ansässiger Gastronom mitteilen, dass ich den Bauhof mit einer Marktplatzreinigung beauftragen soll.
Ähnliches erreicht mich per Mail von der Zentralen Gebäudewirtschaft. Eine Raumpflegerin ist erbost wegen des verkratzten und verschmutzten Parketts. Und Rosenblütenblätter wären aus Heizungs- und Lüftungsschlitzen wie auch das Kerzenwachs auf den Tischen, kaum zu entfernen.
Die Mutter von Chrissi-Lionel möchte einen Unfallbericht von mir, da ja zukünftig bleibende Beeinträchtigungen für das Kind nicht ausgeschlossen werden können. Eine Halterfeststellung zum Motorradfahrer habe sie bereits bei der Zulassungsstelle veranlasst.
Dann höre ich noch die Nachricht auf dem Telefon ab. Ich erkenne die Stimme von Hasi. Er fragt leise an, ob ich ihm die Kontaktdaten von einem guten Anwalt oder Notar übermitteln kann.

Andreas Stickamp
Ich heiße Andreas Stickamp und bin 59 Jahre alt. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und wohne in Gersten. Meinen Beruf als Verwaltungsbeamter übe ich seit fast vierzig Jahren aus. Zum Standesbeamten wurde ich im Jahr 2000 bestellt. Bislang habe ich noch keinen Text veröffentlicht.