05.07.2025
Käthe und Fredy
Monika Bayer-Marks
Käthe kam in Lingen an, nachdem sie nur wenige Tage bei ihren Eltern im Dorf gewesen war. Über zwei Jahre hatte sie zuvor als Hausmädchen auf einem Gutshof gewissenhaft ihre Arbeit erledigt. Als die Herrschaften trotz finanzieller Schwierigkeiten in die Sommerfrische fahren wollten, entließen sie die Hälfte des Personals. Käthe kehrte in ihr Dorf zurück, zu Eltern und fünf jüngeren Geschwistern. Niemand hatte sich über ihre Rückkehr gefreut. Zu schwer war es, alle Mäuler zu stopfen, mit dem was auf dem kleinen Hof erwirtschaftet wurde.
Am zweiten Abend daheim hatte Käthe ein Gespräch der Eltern mitbekommen.
„Entweder ins Kloster nach Münster oder zu den Markreichs in Lingen“, hatte sie den Vater sagen gehört.
„Ach, hör auf!“, war Mutters Reaktion. „Bei den Markreichs kommt sie doch gar nicht zurecht. Die Juden haben doch so komische Sitten. Ich habe mal gehört, dass die sogar zwei Küchen haben, eine für Essen mit Fleisch, die andere für alles, was mit Milch zubereitet wird.“
„Quatsch“, erwiderte der Vater, „nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ich habe mit Ännchens Eltern gesprochen. Ännchen sagt, die Markreichs nehmen es nicht so genau mit ihrem Glauben. Außer an ihren Feiertagen, haben sie damit nicht viel am Hut.“
Ännchen war die Nachbarstochter, die bis zu ihrer Eheschließung in der Küche des Geschäftshaushalts von Aron Markreich gearbeitet hatte. Herr Markreich war vor einem halben Jahr verstorben und das Partiewaren-Geschäft wurde jetzt von seiner Witwe und dem Sohn Fredy betrieben. Nun suchten die beiden dringend ein neues Mädchen für die Küche. Schließlich konnte Frau Markreich nicht gleichzeitig im Laden als auch am Herd ihre Arbeit verrichten.
Die Entscheidung der Eltern war schnell gefallen. Die Franziskanerinnen in Münster, wo eine entfernte Tante als Nonne im Kloster lebte, hätten Käthe gegen Kost und Logis aufgenommen, aber die Stelle im Haushalt der Markreichs bot darüber hinaus ein kleines Einkommen, mit dem Käthe ihre Familie unterstützen konnte. Schon drei Tage später war sie in Lingen eingetroffen.
Anfangs dachte Käthe, dass sie sich vielleicht nie an die Arbeit bei Markreichs gewöhnen könne. Es war alles so anders als auf dem Gutshof, wo sie zuvor gedient hatte. Sie war es gewohnt, Teil eines Personalstabs von Hausmädchen, Stallburschen, Landarbeitern und Gärtnern gewesen zu sein. Bei den Markreichs war sie die einzige Angestellte und nach anfänglicher Einarbeitung durch die Frau des Hauses war sie auf sich allein gestellt. Dank ihrer guten Auffassungsgabe und ihres Fleißes, war dies jedoch kein Problem für sie.
Frau Markreich, eine würdige Person um die 60, hatte ihr während der ersten Tage gezeigt, wo alles im Haushalt zu finden sei. Sie machte nicht allzu viele Worte, war ernst, aber freundlich und geduldig. Stets trug sie schlichte, gut gearbeitete Kleider in dunklen Farben, immer mit einem kleinen weißen Spitzenkragen. Ganz anders war ihr Sohn Fredy, ein gestandenes Mannsbild in seinem schwarzen Anzug, den er tagtäglich im Geschäft trug. Er war immer zu einem Scherz aufgelegt. Nur wenige Tage nach Käthes Ankunft, kam er in die Küche mit einem frechen Liedchen auf den Lippen.
„Da ist das Fräulein Käthe, der platzen gleich die Nähte.“
Dabei zog er an der Schleife, mit der Käthe ihre Schürze im Rücken gebunden hatte.
Sie errötete, stammelte, nicht wissend, wie sie reagieren sollte:
„Aber gnädiger Herr.“
Der brach schallend in Lachen aus:
„Bitte, das nun wirklich nicht. Herr Fredy reicht voll und ganz.“
Später kam Käthe in den Sinn, wovor die Mutter und andere Frauen im Dorf sie immer gewarnt hatten.
„Nimm dich in acht vor den Dienstherren! Egal ob jung oder alt, egal ob verheiratet oder nicht, sie versuchen immer die Mädchen rumzukriegen.“
Käthe wusste gar nicht so recht, was damit gemeint war. Sie hatte sich nicht getraut zu fragen, wurde aber von den Mädchen auf dem Gutshof aufgeklärt, die diese Warnungen auch von ihren Müttern erhalten und zum Teil leider schon Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht hatten.
Das Geschäft der Markreichs war das Schönste, was Käthe je gesehen hatte. Bisher hatte sie nur kleine Krämerläden kennengelernt, wo es Lebensmittel, Schnürsenkel, Schuhwichse und das Nötigste zum Leben gab. Bei Markreichs gab es Dinge, die sie noch nie in einem Geschäft gesehen hatte: Textilien aller Art, Stoffe, Geschirr, Vasen und putzige Nippesfiguren. Wenn sie im Geschäft Staub zu wischen und zu putzen hatte, konnte sie sich gar nicht satt sehen an all den hübschen Dingen. Dabei stellte sie fest, dass es Fredys Art war, mit allen Kundinnen ein wenig zu schäkern und ihnen Komplimente zu machen, natürlich niemals die Grenzen der Schicklichkeit überschreitend. Wenn er auch mit ihr scherzte, hieß dies dann bestimmt nicht, dass er sie rumkriegen wollte, hätte es doch bedeutet, dass er das von jeder Frau wollte. Trotzdem war sie immer ein wenig unsicher ihm gegenüber, vor allem wenn er zu ihr auf eine Tasse Kaffee in die Küche kam.
Fredy war so ein gutaussehender Kerl. So stellte Käthe sich einen Schauspieler vor, mit seinen glatten, pomadisierten, braunen Haaren und den ausdrucksstarken Augen, die immer dann aufblitzten, wenn er wieder einen frechen Spruch machte.
Im Lauf der Wochen verlor Käthe ihre Befangenheit jedoch mehr und mehr. Wenn sie Schritte auf der Treppe hörte, erkannte sie bald, ob es Frau Markreich oder Herr Fredy war, der eine Pause einlegen wollte. Es war auch nett mit Frau Markreich, die stets ähnlich wie Fredy sagte:
„Käthe, jetzt ruh dich doch auch einmal aus und trink einen Kaffee mit mir.“
Aber wenn Fredy kam, wurde es immer lustig und bald konnte Käthe es kaum erwarten, ihn bei sich in der Küche zu sehen.
„Was werden wir beide denn nächsten Mittwoch anstellen?“, fragte er eines Tages.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr Fredy“. Verwirrt schaute Käthe ihn an.
„Na, ist doch dein Geburtstag, habe ich in deinen Papieren gesehen. Und stell dir vor, meiner ist es auch. Wir haben beide am selben Tag Geburtstag. Was für ein Zufall“, lachte er. „Ich bin nur ein paar Jährchen älter.“
„Dann müssen wir wohl zusammen feiern“, fuhr er fort und verzog umgehend das Gesicht. „Gar nichts wird gefeiert.“
„Natürlich nicht, Herr Fredy, Sie und ich können doch nicht zusammen feiern. Das passt doch nicht.“
„Darum geht es doch gar nicht. Mutter besteht darauf, dass ich das Trauerjahr einzuhalten habe, wie es sich für einen anständigen Nachkommen gehört. Bis zum ersten Todestag vom Vater ist nichts mit lustig.“
Fredy stöhnte auf. „Noch nicht einmal ein paar Bierchen mit den anderen Kivelingen darf ich im Wirtshaus zu mir nehmen.“
„Kivelinge?“ Käthe blickte ihn fragend an.
„Das ist unser Junggesellenverein“, erklärte Fredy. „Bei denen werde ich Mitglied bleiben, bis sich eine schöne Frau meiner erbarmt und mich heiratet.“ Er zwinkerte ihr zu. „Vielleicht eine, die so schön ist wie du.“
Käthe errötete. Er hatte es erneut geschafft, sie in Verlegenheit zu bringen, und sie hoffte inständig, dass er es nicht bemerkte.
Fredy hatte es natürlich bemerkt, dass Käthe sich wiederholt verschämt abwandte. Sie war wirklich ein außergewöhnliches Mädchen, nicht nur wegen der blonden Locken und der stahlblauen Augen. So viel älter und vernünftiger war sie, als man es von einer knapp Siebzehnjährigen erwartet hätte. Anders als mit den Bürgertöchtern oder den früheren Hausmädchen, konnte er mit ihr auch über ernsthafte Themen reden. Vielseitig interessiert war sie und so einfühlsam. Fredy fiel immer wieder auf, wie fürsorglich Käthe auf ihre Mutter einging, wenn diese ihren Gedanken nachhing und ihrem verstorbenen Mann nachtrauerte. Aber egal wie gut ihm diese Käthe gefiel, seinem Vorsatz, die Finger von den Dienstmädchen zu lassen, wollte er treu bleiben. Das stand für ihn außer Frage.
Der Tag des gemeinsamen Geburtstags begann für Käthe anders als erwartet. Sie wollte den Frühstückstisch decken, doch es war schon alles angerichtet.
Frau Markreich erwartete sie bereits und sagte:
„Wer Geburtstag hat, sollte nicht zu viel arbeiten. Lass uns auf Fredy warten und dann beginnen wir den Tag mit einem leckeren, gemeinsamen Frühstück.“
Sie drückte Käthe an ihren üppigen Busen, gratulierte ihr herzlich und überreichte ihr ein Geschenk. Das kannte Käthe nicht, dass so viel Aufwand um ihren Geburtstag gemacht wurde. In ihrer Familie wurde der Namenstag in bescheidenem Maße gefeiert, aber der Geburtstag wurde so gut wie ignoriert. Dass eine Dienstherrin ihr so liebevoll entgegenkam, rührte sie fast zu Tränen. Dies fiel auch Fredy auf, der sich mittlerweile an den Frühstückstisch gesetzt hatte, nachdem ihm zuvor sowohl die Mutter als auch Käthe Glück gewünscht hatten.
„Nein, nein, heute bediene ich euch beide“, sagte Frau Markreich, nahm Käthe die Kaffeekanne aus der Hand und schenkte ein.
„Aber jetzt will ich sehen, ob euch die Geschenke gefallen.“
Fredy freute sich über ein paar glänzende, goldene Manschettenknöpfe. Käthe konnte gar nicht aufhören, sich zu bedanken, so gut gefiel ihr die Bluse, die über und über mit kleinen, blauen Blüten bedruckt war und mit feinen Perlmuttknöpfen verschlossen wurde. Frau Markreich behandelte Käthe fast wie eine Tochter.
Am Nachmittag hörte Käthe Schritte und obwohl sie ihr ein wenig langsamer als gewöhnlich vorkamen, erkannte sie, dass Fredy auf dem Weg nach oben war. Kaum hatte er mit einer Hand die Tür geöffnet, in der anderen den Napfkuchen balancierend, den seine Mutter bei Bäckerei Kemper bestellt hatte, stolperte er über die eigenen Füße. Der Kuchen entglitt seinen Händen und wie für eine Zirkusnummer einstudiert, fing Käthe ihn unbeschadet auf. Die beiden kamen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus - selbst als Fredy den Kuchen Käthes Händen entnahm, waren sie kaum zu bremsen. Doch auf einmal waren ihre Augen nur noch aufeinander gerichtet, Hände berührten sich und ehe beide wussten, wie ihnen geschah, lagen sie sich küssend in den Armen.
Es blieb nicht bei diesem ersten Kuss, und es blieb auch nicht beim Küssen allein. Jeden Abend an dem Käthe allein in ihrem Bett lag, betete sie den Rosenkranz und bat um Vergebung, dass sie nicht wie ein anständiges katholisches Mädchen unberührt in die Ehe gehen würde.
Fredy bereute es nicht, dass er seinem Vorsatz, sich niemals mit einem Dienstmädchen einzulassen, untreu geworden war. Er war vollkommen vernarrt in Käthe und beteuerte immer wieder, nachdem sie nachts heimlich in sein Zimmer oder er in ihre Kammer geschlichen war:
„Ich habe es dir von Anfang an gesagt, ich heirate nur eine, die so schön ist, wie du.“
Käthe hoffte, dass er es ernst meinte, aber sie war vernünftig genug, sich des Standes- und auch des Altersunterschieds bewusst zu sein.
„Fredy, das willst du doch gar nicht. Ich bin doch viel zu jung für dich.“
„Nein, das bist du nicht“, betonte Fredy. „Sobald du einundzwanzig bist, werden wir meine Mutter vor vollendete Tatsachen stellen, und dann kann sie sich über die beste Schwiegertochter der Welt freuen.“
Trotz aller Heimlichkeiten waren die ersten Jahre, die Fredy und Käthe in Liebe einander zugewandt waren, ihre schönste Zeit. An ihren Gefühlen füreinander änderte sich nichts, auch wenn es für die Markreichs nach und nach immer schwerer wurde, ihr Geschäft zu führen und genug zu erwirtschaften. Sie, die angesehenen Kaufleute, verloren mit der Machtübernahme der NSDAP immer mehr Kunden. Man vergaß, dass man bei Markreichs stets gut und günstig hatte einkaufen können. Plötzlich war Fredy, der mit militärischen Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war, kein Deutscher mehr wie jeder andere. Er und seine Mutter wurden in erster Linie als Juden angesehen, die am wirtschaftlichen Elend des Landes die Schuld trugen.
In den frühen Morgenstunden des 1. Aprils 1933 stürmte Auguste Markreich in das Zimmer ihres Sohnes. Käthe versuchte noch, sich unter der Bettdecke zu verkriechen, doch die Hausherrin winkte ab.
„Ich weiß doch längst Bescheid. Es gibt Wichtigeres. Fredy, komm, guck dir das an!“
Schon eilte sie aus dem Zimmer und zurück ins Ladenlokal. Wenig später stand Fredy hinter ihr und sah sich das Schauspiel auf der Straße an. Uniformierte zogen vorbei – sie trugen Schilder, auf denen Sprüche wie „Deutsche kauft nicht bei Juden“ zu lesen waren. Auf manchen sah man neben diesen und ähnlichen Aufforderungen hässliche Fratzen, die jüdische Menschen darstellen sollten.
„Fredy, nimm dir ein Stück Pappe und schreib drauf, dass das Geschäft heute geschlossen bleibt.“
Die Markreichs hatten ihr Geschäft normalerweise am Schabatt geöffnet, aber an diesem Samstag sollte es geschlossen bleiben.
„Diesen Burschen ist nicht zu trauen“, sagte Auguste Markreich. „Wir wissen nicht, was die noch vorhaben.“
Ab 10 Uhr standen über Stunden vor Markreichs Geschäft, wie auch vor anderen jüdischen Läden, die Männer der SA und SS mit ihren Schildern und hinderten jeden daran, seine Einkäufe dort zu machen, wo überhaupt geöffnet war.
Am nächsten Tag war der Spuk vorbei, aber nichts war mehr so wie früher. Viele Kunden blieben fern. Einladungen, die früher ausgesprochen wurden, blieben aus. Fredy gehörte bald nicht mehr zu den Kivelingen, und Bekannte auf der Straße gingen an Auguste oder Fredy vorbei, ohne sie eines Grußes zu würdigen.
Käthe erhielt einen Brief der Eltern, in dem sie ihr nahelegten, sich doch eine andere Stellung zu suchen. Das kam für sie jedoch nicht in Frage. Selbst wenn sie sich nicht in der Pflicht gesehen hätte, dem Haushalt Markreich die Treue zu wahren, gab es da doch Fredy, den sie heiß und innig liebte und der sie ebenso sehr in sein Herz geschlossen hatte.
Kurz vor dem gemeinsamen Geburtstag im Jahr 1934, an dem Käthe einundzwanzig und Fredy sechsunddreißig werden sollte, nahm er sie in den Arm.
„Käthchen, ich habe dir versprochen, dass wir heiraten, wenn du großjährig bist. Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür. Ich will nicht, dass du meinetwegen missachtet wirst oder gar in Gefahr gerätst.“
Käthe schmiegte sich eng an ihn, hielt ihn fest umschlungen.
„Vielleicht ist es aber doch besser, wenn wir heiraten. Du könntest auch katholisch werden, wenn du magst.“ Sie blickte zu ihm auf. „Vielleicht wäre das auch sicherer für dich und deine Mutter.“
Fredy schüttelte nur den Kopf.
„Dafür ist es zu spät. Wir müssen es dabei belassen, dass außer Mutter niemand von uns beiden weiß.“
Es wurde immer schlimmer. Im Herbst 1935, nachdem es arischen Frauen unter fünfundvierzig verboten war, in jüdischen Haushalten zu arbeiten, bestanden Fredy und seine Mutter darauf, dass Käthe sie verließ.
„Wo soll ich denn hin? Ich will nicht von euch weg“, schluchzte Käthe herzzerreißend, während Fredy sie in seinen Armen wiegte.
„Liebste, wir gehören doch für immer zusammen. Daran wird sich niemals etwas ändern, auch wenn wir uns eine Weile trennen müssen.“
Fredy küsste ihr die Tränen von den Wangen und presste sie fest an sich.
„Geh ins Kloster nach Münster, zu deiner Tante. Und wenn die Zeiten besser sind, kommst du wieder zu uns. Und dann wird die Hochzeit gefeiert, ein so rauschendes Fest, wie Lingen es noch nie gesehen hat.“
Sie einigten sich, dass sie in Gedanken immer beieinander sein, sich aber nur selten schreiben würden. Fredy wollte ihr auch nur unter dem Namen seiner Mutter schreiben und Käthe sollte auch nur ihr antworten. Briefe an sie adressiert würden nur von ihm gelesen, versprach er.
Im Kloster fieberte Käthe jedem Brief mit dem Absender Auguste Markreich entgegen. Nach längerer Zeit traf im März 1938 wieder ein Brief ein, den Käthe mit vor Aufregung zitternden Fingern aufriss, als sie allein war.
„Mein liebes Käthchen“, las sie. „Dies ist der letzte Brief, den du von Auguste erhältst. Demnächst werde ich unter dem Absender F. Markreich schreiben. Mutter ist leider verstorben und ich musste sie beerdigen. Du liest richtig, ich musste es selbst tun. Kein Bestatter war gewillt, dies zu übernehmen. Ich musste ihren Leichnam auf einem Handkarren zum Friedhof fahren und sie dort unter polizeilicher Überwachung verscharren. Es ist so traurig, dass Mutter auf diese unwürdige Weise ihren letzten Weg gehen musste.“
Käthe weinte so heftig, dass sie erst nach einer Stunde in der Klosterküche wieder ihre Arbeit aufnehmen konnte. Wie würde nur alles weitergehen, fragte sie sich, was würde aus Fredy und ihr werden?
Erst über ein Jahr später erhielt Käthe einen Brief von F. Markreich, doch diesmal kam der Brief nicht aus Lingen, sondern aus weiter Ferne, aus Liberia.
„Liebstes Käthchen“, schrieb Fredy. „Ich hoffe, du hast mich nicht vergessen. Ich habe jeden Tag an dich gedacht, auch wenn ich dir nicht schreiben konnte.“
Beim Weiterlesen erfuhr Käthe, dass Fredy nach einer schrecklichen, alles zerstörenden Nacht am 10. November 1938, festgenommen und später nach Buchenwald überstellt worden war. Einige Monate war Fredy dort, er ersparte ihr die Einzelheiten, und nach der Rückkehr beantragte er in Lingen einen Reisepass, so dass er im April 1939 nach Liberia ausreisen konnte.
„Käthchen, ich verspreche dir“, schrieb er, „ich werde einen Weg finden, dich hierher zu holen. Dann bleiben wir gemeinsam hier oder gehen in ein anderes Land.“
Dies war das letzte Mal, dass Käthe von Fredy hörte. Sie erhielt nie wieder einen Brief von ihm. So viele Jahre fragte sie sich, was aus ihm geworden war. Sie konnte ihn nie vergessen. Über Jahrzehnte verlief ihr Leben ähnlich keusch wie das der Nonnen, bei denen sie bis zum Ende ihrer Tage Arbeit in der Küche verrichtete. Doch bevor sie selbst das Zeitliche segnete, sollte sie noch erfahren, wie es Fredy ergangen war. Als rüstige Frau machte sie im Alter von neunzig Jahren einen Besuch in Lingen. Sie wollte die Stadt, in der sie in jungen Jahren anfangs so glücklich gewesen war, noch einmal sehen. Sie besuchte das Emslandmuseum, in dem sie alte Fotos und Schriftstücke entdeckte. Dort las sie vom Tod ihres geliebten Fredy. Sie las, dass er am 29. 1. 1944 in Kingsville bei Monrovia, Liberia verstorben war und dass über die näheren Umstände seines Todes nichts bekannt war.

Monika Bayer-Marks
geb. 1956. Ich wohne in Pulheim und bin seit 2021 im Ruhestand. Ich habe mich an Literaturwettbewerben beteiligt und bin in verschiedenen Anthologien veröffentlicht worden. In der mittlerweile reichlich vorhandenen Freizeit widme ich mich vermehrt dem Schreiben von Kurzgeschichten.